Dieses Interview mit Alfred Escher ist frei erfunden. Aber gefährlich nahe an der Wahrheit
Was würde wohl der Gründervater Alfred Escher (1819–1882) über das Ende der Credit Suisse sagen? Versuch eines Interviews.
Herr Escher, Ihre Bank – die Credit Suisse – gibt es nicht mehr.
«Credit Suisse»? Solcherlei Namen vernahm ich noch nie.
Pardon, wir meinen natürlich die Schweizerische Kreditanstalt, die Sie einst mitbegründet haben.
Ach so, Sie meinen jenes Creditbureau, das uns anno dazumal die Eisenbahngeschäfte finanzierte! Schon in unsren Tagen entkam selbiges ja nur knapp dem Concurse. Und doch ist es noch immer tätig?
Bald eben nicht mehr.
Und was kümmert mich dies?
Sie sind doch der Gründervater der Bank. Da geht gerade ein Stück Geschichte verloren, ein Stück von Ihrem Erbe.
Tatsächlich, diese Anstalt hat dem Platze Zürich eine finanzielle Bedeutung gegeben, die er vorher nicht entfernt hatte. Jedoch – und erlauben Sie mir, verehrte Herren, diese Offenheit – eine Creditanstalt soll mein grosses Erbe sein? Schon der Gedanke an solcherlei Unsinnigkeit lässt mich erschaudern.
Verzeihung, aber so erinnert man sich heute an Sie: Alfred Escher, der Wirtschaftspionier, der Unternehmer, der Begründer des Bankenplatzes Zürich.
Unsere demokratische Nation, diesen Hochaltar der Freiheit in Europa, habe ich durch Wort und Tat geeint. Mit Eisenbahnlinien habe ich sie durchzogen. Den Gotthard selbst habe ich durchstossen lassen. Ohne eine den Wall ihrer Alpen durchbrechende Eisenbahn hätte die Schweiz zu einem von dem grossen Weltverkehr umgangenen und verlassenen Eilande herabsinken müssen. Dies habe ich verhindert. Wohl war ich zeit meines Lebens dem Geschäfte zugewandt, doch diente dies stets dem bescheidenen politischen Ziele, in dessen Dienst mein Leben stand: der Belebung schweizerischen Nationalgefühls und der Ausrottung des erbärmlichen Kantönligeistes.
Ihre Bank, die Kreditanstalt, war also bloss ein Mittel zum Zweck.
Präzise formuliert, meine Herren. Sie hat zur Befruchtung von Industrie und Gewerbethätigkeit in Zürich und in der ganzen Ostschweiz Entscheidendes beigetragen. Sie hat die schmachvolle Abhängigkeit vom Auslande beseitigt. Sie diente – und mehr auch nicht – der Creditbeschaffung für jene mannigfaltigen Unterfangen, mit denen ein freier Unternehmer dem Vaterlande nützt. War jene «Credit Suisse» selbigem Ziele denn überhaupt noch verpflichtet?
So halb. Sie hatte immer noch viele Kundinnen und Kunden in der Schweiz – Unternehmen, Private, Reiche, Kleinsparer. Aber seit über 30 Jahren hat die Bank immer mehr auch mit riskanten internationalen Geschäften das grosse Geld gesucht.
Dem Wagemute, meine Herren, war auch ich im seltensten Falle abgeneigt. Und ohne ihn, so scheint es mir, wäre unser Land nicht zum leuchtenden Beispiele für die Kraft und das Glück eines freien Volkes geworden, sondern eine traurige Einsiedelei mitten in Europa geblieben. Doch wer wagt, der lebe auch mit den Folgen – dem Erfolge oder dem Concurse.
Zu einem Konkurs kommt es bei der Credit Suisse eben genau nicht. Der Bundesrat und die Nationalbank haben eingegriffen und die Bank gerettet. Sie wird jetzt von ihrer grössten Konkurrentin geschluckt.
Gopfried Stutz, was vernehme ich da? Dem Staate kommt eine Rolle im Creditgeschäfte zu? Eine Ungeheuerlichkeit. Schon gegen die Errichtung der Cantonalbanken kämpfte ich an – und nun soll in meinem Lande gar eine «Nationalbank» walten? Wahrlich, was ich stets fürchtete, muss nun geschehen sein: Wir Liberale haben die Macht im Staate endgültig verloren. Wer zeichnet verantwortlich für diesen Sündenfall: die Katholisch-Konservativen, diese Reactionären? Oder die Socialisten, diese Feinde des Unternehmerthums?
Federführend war eine liberale Finanzministerin.
Mir scheint, ich höre nicht recht!
Ihre Bank, die ehemalige Kreditanstalt, ist so gross geworden, dass mit ihrem ungeordneten Ende möglicherweise die Schweizer Wirtschaft kollabiert wäre, wenn nicht gar die globalen Finanzmärkte insgesamt. Es gab grossen Druck aus dem Ausland, sie zu retten.
Die Schweiz hat vor dem Auslande nicht gezittert, als die Fürsten ihre Throne noch ganz sicher glaubten und als die Schweiz in ihrem Innern zerrissen, ja sogar im Kriege begriffen war. Da sollte sie doch noch weniger vor dem Auslande erbeben, nun da die Fürsten ihre Throne wanken gesehen haben und die Schweiz einig dasteht!
So einfach ist es eben heute nicht mehr. Die Schweiz ist nicht mehr das Randgebiet, das Sie einst wirtschaftlich entwickelt haben. Und die Banken sind auch nicht mehr der verlängerte Arm der Zürcher Liberalen.
Herrje, welch Hiobsbotschaften Sie mir hier verkünden. Vorbei sind also die Zeiten, da meine Mannen und ich uns im Café littéraire zum Umtrunke trafen und unter uns besprachen, was Creditanstalt und Parlament, Regierungsrath und Gerichte zu beschliessen hätten. Hoffentlich bleibt Zürich allerwenigstens noch mehr als eine einzige grosse Bank – wie es sich für eine bedeutende Stadt ziemt!
Auch da haben wir schlechte Nachrichten . . .
. . . halt, diesen Schreckensmeldungen muss ich Einhalt gebieten. Nächstens eröffnen Sie mir wohl noch, dass – welch Schauder! – auch dem gemeinen Volke eine aktive Rolle in der Politik zukommt. Mich beschleicht das Gefühle, Sie weckten mich nur, um mir Albträume zu bescheren.
Es berufen sich halt gerade sehr viele auf Sie und Ihr historisches Erbe. Was raten Sie denn Ihren Nachfahren heute?
Ich habe nichts zu raten. Zeit meines Lebens trug ich ohne Klage das Kreuz meiner Geschäfte – nur um am Ende nach ein paar finanziellen Malheurs Ämter und Würden zu verlieren. Gewiss soll der ächte Mann den Lohn für sein Thun vor allem in dem Bewusstsein treu erfüllter Pflicht finden. Doch zum Vorbilde taugt mein Schicksal nimmer. Die Nostalgie nach einem lange toten Manne wird Sie nicht aus diesem Schlamassel führen.
Herr Escher, die NZZ dankt für dieses Gespräch.
Sapperlot, die NZZ! Die gibt es also noch.
Author: Kristy Reeves
Last Updated: 1702518842
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