Wer als Kind ministriert hat, weiss: Lachen liegt in der Kirche nicht drin. Die Messe ist eine heilige und damit ernste Angelegenheit. Jesus kann man sich kaum lachend vorstellen. Und sich ausgelassen auf die Schenkel klopfen im Angesicht des Gekreuzigten? Pietätlos!
Warum bloss ist Religion eine derart bierernste Angelegenheit? Hat Lachen wirklich keinen Platz in frommen Gesichtern?
Humor ist keine Frage der Religion
«Das ist primär ein Vorurteil», erklärt Religionswissenschaftler Christoph Peter Baumann. Er beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Religion und Humor.
Den meisten Religionen sei zwar gemeinsam, dass sie über das, was ihnen heilig ist, keine Witze machen. Humorvolle und humorlose Menschen habe er dennoch überall erlebt, erklärt Baumann. Ob bei Atheisten oder Frommen, die religiöse Ausrichtung habe dabei kaum eine Rolle gespielt.
Der lustige Lukas
Jesus am Kreuz: Das ist durchaus dramatisch. Die Evangelien können aber auch sehr unterhaltsam sein, findet Andrew Doole, Bibelwissenschaftler in Innsbruck. «Der Evangelist Lukas ist besonders lustig», meint er.
Doole hat sich gefragt, ob Jesus tatsächlich immer so seriös gewesen sei, wie er in Kunst und Filmen dargestellt wird. Oder ob er sich «auf Partys oder mit seinen Jüngern nicht auch gut amüsiert» habe. Dabei sei er auf skurrile Stellen im Evangelium gestossen. Zum Beispiel:
«Und Jesus antwortete ihnen und sprach: ‹Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet?›»
Dooles Antwort: «Das ist doch bescheuert. Welcher Hirte würde 99 Schafe unbeaufsichtigt zurücklassen, um ein einziges zu suchen?» In der Bibel findet der Hirte das eine Schaf aber tatsächlich, worauf er die anderen 99 weiter in der Wüste stehen lässt und seinen Fund mit Freunden feiert.
Jesus, der Entertainer
Dass Jesus' Publikum über solche Erzählungen lachte, ist in den Evangelien nirgendwo erwähnt. Stammt der Humor also gar nicht von Jesus, sondern von den Evangelisten, die die Geschichten aufschrieben?
Für Doole ist klar, dass Jesus bei Lukas ein Entertainer war. Und er merkt mit einem Lachen an: «Wer Jesus keinen Humor zuschreibt, betreibt eigentlich Ketzerei.» Wenn Jesus ganz Mensch war, dann müsse er auch Humor gehabt haben.
Religiöse Witze
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Auch wenn Religion und Humor oft unvereinbar scheint – religiöse Witze gibt es viele. Hier ein paar Beispiele:
Hochzeit auf dem Dorf. Der katholische Pfarrer und der Ortsrabbi sitzen sich beim Essen gegenüber. «Na, Rabbi», sagt der Pfarrer, «wann werde ich denn mal erleben, dass Sie so ein leckeres grosses Schweineschnitzel essen?» Entgegnet der Rabbi: «An Ihrer Hochzeit, Hochwürden. An Ihrer Hochzeit.»
Ein Rabbi sagt zu Gott: «Hilfe, mein Sohn ist Christ geworden, was soll ich bloss tun?» Gott antwortet: «Mach dir nichts draus, mein Sohn ist auch Christ geworden.» Rabbi: «Und was hast du getan?» Gott: «Ich habe ein neues Testament geschrieben.»
Ein Freund fragte den Mulla: wie alt bist Du? Vierzig, antwortete der Mulla. Der Freund sagt, aber Du hast vor zwei Jahren dasselbe gesagt! Ja, antwortete der Mulla, ich stehe immer zu dem, was ich gesagt habe.
Warum ist das Tor des Paradieses bewacht, aber das Tor der Hölle ganz unbewacht? Wenn ein Muslim oder eine Muslima aus der Hölle entwischen will, wird der andere ihn schon daran hindern.
Im Jammertal gibt es nichts zu lachen
In der christlichen Tradition komme das Lachen aber schlecht weg, erklärt Oliver Krüger, Religionswissenschaftler in Fribourg. Zwar gäbe es sogenannte Heilige Narren in der Ostkirche oder den mittelalterlichen Brauch des Osterlachens – sonst sei Lachen aber lange nahe bei den Todsünden angesiedelt gewesen.
So kommt in der christlichen Bibel das Wort «Lachen» nur selten vor. Wenn es auftauche, dann meistens in einem spottenden Sinne, berichtet Krüger. Der Religionswissenschaftler sieht darin einen spezifischen Ausdruck des frühen Christentums, das den Unterschied zwischen Diesseits und Jenseits betonte und die Welt als zu überwindendes Jammertal verstand. Entsprechend war Lachen in Klöstern und Kirchen auch verboten.
Heute gibt es durchaus Kirchen, in denen es auch mal lustig sein darf. «Spätestens das Revival von Pfingstbewegungen im 20. Jahrhundert brachte das laute Lachen in die Kirche», so Krüger. Auf Youtube findet man Videos, wo Menschen sich im «holy laughter» am Boden kugeln. «It’s ok, the Lord’s in total favor of it», wird dort verkündet.
Unschickliches Lachen
Anders als Jesus kann man sich den Dalai Lama fast nur lachend vorstellen. Und auch der dicke Buddha im China-Restaurant lacht. Ist also der Buddhismus eine humorvolle Religion?
Der Pali-Kanon, der älteste buddhistische Text mit Lehrreden des Buddha, will von lautem Lachen nichts wissen. Im Buddhismus gilt der Grundsatz des mittleren Wegs, der die Vermeidung von Extremen vorschreibt. So erklärt sich auch das Verbot im Pali-Kanon, erklärt Karénina Kollmar-Paulenz, Religionswissenschaftlerin in Bern.
Will man nicht unschicklich wirken, hält man Emotionen im Zaun. «Deshalb sieht man auf den Gesichtern von Bodhisattvas, also den Darstellungen von Erleuchtungswesen, immer nur ein sanftes Lächeln», so Kollmar-Paulenz.
Mit Humor zur buddhistischen Erleuchtung
Aber auch im Buddhismus gibt es verschiedene Strömungen und Auffassungen. Einige verwenden Lachen und Erheiterung als Methode, um spontane Erleuchtung zu erreichen. «Das liegt an der Überzeugung, dass die wahre Erkenntnis nicht durch die Ratio kommt, sondern dass sich Erkenntnis vielmehr blitzartig ereignet», sagt Kollmar-Paulenz.
Im tibetischen Buddhismus gibt es sogenannte Nyönpas: «Das sind Menschen, die im Hier und Jetzt schon die Befreiung erlangt haben. Damit sind sie frei von sozialen Normen und handeln entsprechend verrückt», erklärt die Religionswissenschaftlerin. «Bei der einfachen Bevölkerung werden diese Leute sehr verehrt, denn sie wenden sich in ihrem Verhalten auch gegen religiöse Autoritäten.»
Der Dalai Lama hingegen hat sein Lachen nie mit einem spirituellen Hintergrund erklärt. Vielmehr gehe es ihm offenbar darum, die Ehrfurcht vor seiner Person abzubauen, so Kollmar-Paulenz.
Über hinduistische Götter lachen
Den grössten Spass unter den Gläubigen haben laut einer Studie die Hindus. Dort dürfe man sogar Witze über die verschiedenen Gottheiten machen, weiss Christoph Peter Baumann.
In den unzähligen Begegnungen mit Hindus habe er viel Selbstironie mitkommen, aber auch Makabres: «An einem bestimmten Hindu-Fest wird eine Statue von Ganesha aus Lehm herumgetragen und am Schluss im Wasser versenkt. Dies ist in folgende Anekdote umgewandelt worden: Menschen sind auf einem Boot, welches ein Loch hat und zu sinken beginnt. Sie beten zu Ganesha, damit er ihnen hilft. Dieser lacht nur und sagt: ‹Jedes Jahr ersäufen sie mich im Wasser, jetzt mache ich es mal umgekehrt und lasse die Menschen ertrinken.›»
Der jüdische Humor, ein Klischee?
Auch Jüdinnen und Juden wird gemeinhin viel Humor nachgesagt. Die Judaistin Annette Böckler sagt: «Wir Juden gelten immer als furchtbar witzig, das empfinde ich aber gar nicht so. Israel ist ja mit 70 Prozent Juden auch kein Land mit lauter Kabarettistinnen und Komikern.»
Eine Erklärung für den vielbesagten jüdischen Humor sieht Böckler in der Geschichte: Es gäbe Jüdinnen und Juden, die behaupten, dass das Judentum ohne seinen Humor gar nicht mehr existieren würde. Der selbstironische Galgenhumor, der sich aus Anekdoten der jüdischen Verfolgungsgeschichte speist, übernähme eine psychologische Funktion.
Für andere hingegen ist der «jüdische Humor» eine Fremdzuschreibung und eine Verniedlichung von Jüdinnen und Juden, so Böckler.
Als äusserst humorvoll beschreibt Böckler hingegen die Bibel: «Die Jona-Geschichte mit dem Wal kann man sich bestens als Comic vorstellen. Oder denken Sie an die sprechende Schlange im Paradies – darüber muss man doch lachen», meint sie.
Humor im Islam
Auch im Islam ist das Verhältnis zum Humor komplex. Gewalttätige Reaktionen auf Mohammed-Karikaturen haben bei vielen den Eindruck erweckt, der Islam sei eine komplett humorfeindliche Religion.
Dabei gibt es in der islamischen Welt eine lange Tradition religiösen Humors und religiöser Satire. Milad Karimi, islamischer Theologe aus Münster, merkt an, dass es im Koran zwar keine expliziten Witze gäbe, der koranische Text aber trotzdem nicht humorlos sei. So sage in Sure 78,40 ein Leugner, als er am Jüngsten Tag auferweckt wird: «Oh, wäre ich nur Staub geblieben!», zitiert Karimi.
Die Weisheitszähne des Propheten
Es seien zahlreiche Überlieferungen vorhanden, die Mohammeds Humor bezeugen. Beispielsweise als er einer Oma auf ihre Bitte, ins Paradies zu kommen, zu verstehen gab, dass sie als alte Frau da keinen Platz finden würde – nur um ihre Bestürzung kurz darauf so aufzulösen, dass sie im Paradies wieder jung sein werde.
Es wird gar gesagt, «der Prophet habe so herzhaft gelacht, dass beim Lachen seine Weisheitszähne sichtbar wurden», erzählt Karimi.
In der klassischen Zeit des Islams sei das Sakrale nicht tabuisiert worden, sagt Karimi: «Man ging spielerisch damit um, indem religiöse Normen, Praktiken, Riten und Texte mit Offenheit umgedeutet wurden.»
Grenzen des Humors
Wo setzen Religionen dem Humor Grenzen? Sowohl im Christentum wie auch im Islam beginnen sie dort, «wo Humor nicht erheitert, sondern verletzend wirkt und spöttisch über die Fundamente des Glaubens hergezogen wird», so Karimi. Im Christentum seien das etwa die Sakramente. Diese Grundlagen sicherten den sozialen Zusammenhalt. Der sei gefährdet, wenn er Gegenstand von Humor wird.
In der Moderne zeige sich «gerade in ideologisierten, radikalisierten Kreisen eine Ablehnung des Humors», erklärt Karimi. Dies liege unter anderem an deren Feindseligkeit gegenüber der Mehrdeutigkeit, von der Humor lebt. Das lässt sich im Islam genauso beobachten wie im Christentum.
Blasphemie per Gesetz verboten
Dennoch gehören Humor, Spott und Karikaturen zur Geschichte der Religionen. Wo Menschen sind, gibt es immer auch Belustigung und Rivalität.
In der Auseinandersetzung zwischen den christlichen Konfessionen im 16. und 17. Jahrhundert seien mit dem Aufkommen der Druckerpresse Hunderttausende von Pamphleten mit übelsten Karikaturen gedruckt worden, rekapituliert Oliver Krüger.
Die Beschimpfungen und der derbe Fäkalienhumor gingen so weit, dass man bei der Nationalstaatenbildung im 19. Jahrhundert schliesslich Blasphemieverbote im Strafgesetzbuch verankerte. In der Schweiz hat der Artikel 261 weiterhin Gültigkeit.
Jede Zeit hat ihren Humor
Ob etwas als lustig empfunden wird, ist nicht nur von Mensch zu Mensch verschieden. Auch müsse man die Texte in ihrer Zeit verstehen, sagt Bibelwissenschaftler Doole: Was in der Antike unterhaltsam war, kann heute beschämend oder peinlich wirken. Der Humor eines Jahrtausende alten Texts erschliesst sich uns zeitgenössischen Leserinnen und Lesern vielleicht auch nicht mehr so leicht.
Author: Jonathan Phillips
Last Updated: 1703463481
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