Wirtschaftsingenieure gelten gemeinhin als eierlegende Wollmilchsäue – und sind auf dem Arbeitsmarkt schwer begehrt. Doch was macht man eigentlich als Wirtschaftsingenieur? Wie gestaltet sich das Studium? Ist es das Ticket in die Führungsetage? Antworten auf diese Fragen gibt Axel Haas, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Wirtschaftsingenieure e.V.
Wirtschaftsingenieure sind auf dem Arbeitsmarkt sehr gefragt. Sind Sie Edel-BWler? Diese Frage beantworten wir hier.
Foto: panthermedia.net/Goodluz
ingenieur.de: Wie beliebt ist das Studium der Wirtschaftsingenieurwissenschaften hierzulande?
Axel Haas: Mit über 2 Millionen Studierenden ist der Studiengang unter den fünf größten Studiengängen in Deutschland. Wenn ich mich daran zurückerinnere als ich im Jahr 2000 angefangen habe zu studieren, waren wir ein „Häufchen“ von 6.000 Studienanfängern. Seit einigen Jahren freuen sich jährlich ca. 20.000 Studierende auf das Uni-Leben zwischen Technik und Management und was die neu gewonnene Freiheit fernab das Elternhauses sonst noch bereitstellt – versteht sich.
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Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich denke, dass das Studium zum Wirtschaftsingenieur einem zwar viel abverlangt, aber die einzigartige Kombination aus Wirtschaft und Technik – so wie der Studiengang auch anfänglich 1926 genannt wurde – reizt viele. Die Halbwertzeit des Wissens verringert sich kontinuierlich, so dass man in der Welt mit einem breiten Wissen sehr viel besser aufgestellt ist. Dies erkennen auch viele Schüler und entscheiden sich für diesen interdisziplinären Studiengang. Wirtschaftsingenieure sind am Markt gefragt wie kaum eine weitere Berufsgruppe. Im Schnitt schreibt ein Absolvent 2-3 Bewerbungen, um den für sich passenden Job zu finden – wenn er nicht schon direkt von der Hochschule durch Praktika oder Werkstudententätigkeit abgeworben wird.
Wie unterscheidet sich das Studium von klassischen Ingenieursstudiengängen?
Interdisziplinarität ist die DNA des Studienganges. Man wählt in der Regel eine technische Fachrichtung, die ergänzt wird durch ein breites BWL-Verständnis. Also in meinem Fall zum Beispiel Konstruieren/ Mechanik, Automatisierungstechnik, Produktionstechnik und Logistik, für den technischen Anteil. Angefangen von BWL-Grundfertigkeiten wie Marketing, Personal oder Buchführung, wird das technische Spektrum wirtschaftswissenschaftlich erweitert durch Volkswirtschaftslehre und Rechtsgrundlagen.
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„Wirtschaftsingenieure müssen keine perfekten BWLer sein“
Was ist das Ziel der Ausbildung?
Es dreht sich nicht darum, den perfekten Ingenieur oder perfekten BWLer auszubilden. Vielmehr ist die Vermittlerrolle, der Mediator im Unternehmen, das Ziel. Der Wirtschaftsingenieur versteht und spricht beide Sprachen und generiert somit einen sehr hohen Mehrwert. Oftmals in Führungspositionen.
So finden Sie Ihren eigenen Führungsstil
Ist man an einer Fachhochschule besser als an einer Uni aufgehoben?
Wie sagte mein VWL-Professor immer so schön: Es kommt drauf an. Welcher Lerntyp ist man? Schätzt man große oder kleine Kursgrößen? Mehr oder weniger Praxisanteile im Studium? Grundsätzlich gilt: Eine Universität bietet einem einen leichteren Zugang zu einer späteren wissenschaftlichen Tätigkeit. Eine Hochschule für angewandte Wissenschaften (ehemals Fachhochschule) ist eher für Praktiker geeignet. Muss ich mich an einer Uni wie zum Beispiel der TU Berlin mit einigen hundert Studierenden in meiner Mathevorlesung organisieren, ist in der Hochschule für angewandte Wissenschaften die Kursgröße oftmals mit einer Klassenstärke in der Schule vergleichbar.
Es gilt: Sicherheit kostet Freiheit. Wer die Sicherheit einer engen Betreuung einer Hochschule genießen möchte, kommt oftmals um Anwesenheitspflicht nicht herum. Wer ein wenig stärker selbst bestimmt sein Studium organisieren möchte, der ist auf einer Universität richtig aufgehoben.
Wirtschaftsingenieure sollten auch Spaß an Technik haben
Welche Interessen und Fähigkeiten sollte ein angehender Wirtschaftsingenieur mitbringen?
Ich denke, ein wenig Spaß an Technik sollte dabei sein. Also nicht nur am Auto schrauben (was aber auch hilfreich sein kann…). Eher neugierig sein, wie was funktioniert. Das gilt für die BWL genauso. Also warum gibt es diese oder jene wirtschaftliche Entwicklung? Warum kann man nicht einfach mal die Maschinen abstellen, wenn wir wie aktuell eine Woche vorher den Osterlockdown beschließen – der ja wieder gecancelt wurde. Kurzum, Spaß am Lernen, Neugierde und der Rest kommt schon. Und keiner hat gesagt, dass man da leicht durchmarschiert: Auch ein Maß an „Frustrationstoleranz“ ist hilfreich. Das gehört zur Wahrheit dazu. Aber ich kann jeden beruhigen: Die Erfolgserlebnisse kommen und dann freut man sich auf das Bier nach der Klausur – auch gerne schon um 14.00 Uhr.
Wann würden Sie eher von einem solchen Weg abraten?
Das ist eine unfaire Frage an einen Wirtschaftsingenieur!
Wird das Wirtschaftsingenieurwesen in einer immer stärker vernetzten Welt wichtiger?
Das ist eine Steilvorlage. Ja, auf jeden Fall. Und zwar in allen Facetten. Der Wirtschaftsingenieur versteht sich als Allrounder. Er spricht die Sprache der Techniker und BWLer. In sein Studium sind soziale Kompetenz und Verantwortung integriert – zum Beispiel Fächer wie Interkulturelle Kompetenz oder Technikfolgenabschätzung (teils eigene Vorlesungen, teils integriert in bestehende Inhalte). Und was brauchen wir mehr, als Menschen, die ganzheitlich, interkulturell und nachhaltig denken und handeln. Das Verstehen komplexer Zusammenhänge und Ableitungen unter den Gesichtspunkten von ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit zu treffen ist die Stärke des Wirtschaftsingenieurs. Also allesamt Eigenschaften, die wir in einer Welt mit globalen Herausforderungen brauchen.
Wo, in welchen Branchen und auf welchen Tätigkeitsfeldern, sind Wirtschaftsingenieure besonders nachgefragt?
Immer da, wo ein „Mediator“ gebraucht wird. Zwischen Management und Technik fühlt sich der Wirtschaftsingenieur am Wohlsten. Das können in der Logistik die Steuerung internationaler Wertschöpfungsnetzwerke sein (Automobilindustrie beziehungsweise grundsätzlich Produktion) oder auch in der Beratung, also der Unterstützung von Unternehmen. Ich selbst war aber ganz atypisch zuerst bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Bereich Bankenprüfung unterwegs. Hier dann aber in der Kreditprüfung für die Finanzierung technischer Anlagen. Also auch wieder der Übersetzer zwischen dem Finanzierer (Bank) und dem Techniker, der die Maschine finanziert haben will.
Prädestiniert das Fach für eine Führungskarriere?
Ich denke ja. Das belegen auch Zahlen, die wir im Rahmen unserer Studie „Wirtschaftsingenieurwesen – Hochschulausbildung, Wissenschaft und Praxis“ erhoben haben.
Verdienen Wirtschaftsingenieure mehr als andere Ingenieure?
Meines Erachtens ein eindeutiges „Ja“. Im Einstiegsgehalt liegen Wirtschaftsingenieure mit 52.800 Euro etwa 3.000 Euro höher als „normale“ Ingenieure. Im Rahmen der beruflichen Weiterentwicklung und der oftmals erreichten Führungsposition ist von einem Gehaltsvorsprung von Wirtschaftsingenieuren auszugehen.
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Über Axel Haas
Axel Haas ist Diplom-Ingenieur und Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Wirtschaftsingenieure e.V.
Author: Mary King
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